Tag der regionalen Wirtschaft: «Wir haben noch drei, vier Monate Zeit, bis es ernst wird»
Düstere Szenarien am Tag der regionalen Wirtschaft: «Wir haben noch drei, vier Monate Zeit, bis es ernst wird»
Von Philippe Pfister (06.07.2022)
Am Tag der regionalen Wirtschaft wurde klar: Die Sorgen der Unternehmen werden tagtäglich grösser – auch, weil sich der Fachkräftemangel zu einem allgemeinen Personalmangel auswächst. Geehrt beim Treffen der Unternehmer und Wirtschaftsvertreter aus der Region wurde Hans-Ruedi Hottiger, der letztes Jahr als Zofinger Stadtammann zurückgetreten ist.
Der Tag der regionalen Wirtschaft stand in diesem Jahr nicht unter besonders guten Vorzeichen. Selten in den letzten Jahren waren die Sorgen der Unternehmer und Wirtschaftsvertreter grösser. In Europa tobt ein Krieg, dessen Ende nicht absehbar ist. Die Energiepreise sind hochgeschnellt, die Inflation drückt auf die Kaufkraft, die Lieferketten knarzen immer noch. Im Winter droht eine Gas- und Strom-Knappheit. Gleichzeitig suchen viele Unternehmen händeringend geeignetes Personal. Eine optimistische Grundstimmung fühlt sich anders an. Peter Gehler, der Präsident des organisierenden Verbandes Wirtschaft Region Zofingen (WRZ), sprach sogar von «Abgründen, an die wir nicht zu denken wagen».
Eingeladen hatte der WRZ in die Arbeits- und Wohngemeinschaft Borna, zuvor gab es eine Betriebsführung durch die Produktionsräume der Wernli AG. Vorgestellt wurde beides von Felix Schönle: Der Borna steht er als VR-Präsident, der Wernli AG als CEO vor.
Zwar laufe die Wirtschaft noch gut, meinte Gehler in seiner Ansprache weiter – aber der Blick in die nahe Zukunft mache wenig Freude. Am grössten Forschungsprogramm der Welt sei die Schweiz nicht mehr oder nur mehr marginal zugelassen. «Die Frist für die Anmeldung für die nächste Phase läuft bis September. Dann ist Schluss für längere Zeit. Für den Forschungsplatz Schweiz eine mittlere Katastrophe», so der WRZ-Präsident.
«Ein Pullover zur rechten Zeit ist zumutbar»
Ein weiteres grosses Problem sei die drohende Energie-Krise, «die ohne Zweifel vor der Tür steht». Gleichzeitig sei der Bundesrat nicht bereit, von einer Notlage zu sprechen. «Das überfordert wirkende UVEK drescht Parolen, die wenig dazu beitragen, das Problem zu lösen.» Die Schweiz müsse schauen, dass sie durch den nächsten Winter komme. «Kurzum, es braucht ein Krisenszenario. Jetzt. Wir haben noch drei, vier Monate Zeit, bis es ernst wird.»
Es sei keine gute Idee, die privaten Haushalte bei der Gasversorgung zu bevorzugen und primär die Maschinen abzustellen. «Das ist kurzsichtig. Ein Pullover zur rechten Zeit ist zumutbar.» Ein Bundesrat, der führe, sei zurzeit aber nicht spürbar. «Er ist zu spät dran. Es ist bereits Krise», so Gehler.
Unternehmen richten Lieferketten neu aus
Nicht ganz so düster war der Wirtschaftsausblick von Franziska Fischer, die bei der Grossbank Credit Suisse als Makroökonomin unter anderem für Wirtschaftsprognosen zuständig ist. Sie geht davon aus, dass sich das Wirtschaftswachstum zwar abschwächt, die Schweiz aber nicht in eine Rezession schlittert. «Gute Nachrichten» gebe es beim Thema Lieferketten: Viele Unternehmen hätten diese bereits anders konfiguriert und bezögen wieder wieder mehr Waren aus europäischen Ländern oder aus der Schweiz selbst. Zweifellos werde es zu weiteren Zinserhöhungen kommen, so Fischer – was dazu führen werde, dass die Schweiz auch die Inflation in den Griff bekomme. Für 2023 rechnet die CS-Ökonomin mit einer Inflationsrate von einem Prozent, was sehr optimistisch sein dürfte.
Eine weitere Sorge der Unternehmen sprach Adrian Borer an. Er leitet die Wirtschaftsförderung Oftringen-Rothrist-Zofingen. «Ein allgemeiner Personalmangel löst den Fachkräftemangel ab», sagte Borer. Die Tatsache, dass viele Baby-Boomer in den nächsten Jahren in Pension gehen, werde das Problem noch verschärfen. Zugespitzt heisst das, dass sich die Jobsuche umdreht. Es sind nicht mehr die Arbeitnehmer, die Jobs suchen – es sind die Unternehmen, die dafür sorgen müssen, attraktive Jobprofile zu schaffen und sichtbar zu machen. Zum Beispiel beim Projekt Work Life Aargau, einer Art «Dating»-Plattform für Arbeitgeber und Jobsuchende.
Wirtschaftsförderer Borer kündigte zudem zwei Ansiedlungen an, die er am Einfädeln sei. Namen wolle er noch keine nennen, zuerst müsse die Tinte unter den Verträgen trocken sein.
«Streitbarer, aber zugänglicher Stadtammann»
Zum Schluss sorgte WRZ-Präsident Peter Gehler dann doch noch für eine Stimmung, die sich wohltuend von den düsteren Krisenszenarien abhob. Er ehrte Hans-Ruedi Hottiger, «eine Persönlichkeit, die die politische Landschaft im Westen des Aargaus und als Grossrat im Aargau stark geprägt hat». Hottiger trat letztes Jahr als Stadtammann von Zofingen zurück. «Im Rückblick darf man sein Wirken als Glücksfall für die Stadt Zofingen bezeichnen», sagte Gehler. «Er hat die Stadt nicht einfach verwaltet, er hat geführt und auch unangenehme Dinge jederzeit deutlich angesprochen. Er war ein streitbarer aber zugleich auch sehr zugänglicher Stadtammann. Seine Detailkenntnisse waren beeindruckend.» Für seinen Einsatz für Region und Kanton gebühre Hottiger ein grosses Dankeschön, was mit einem kräftigen Applaus der Anwesenden bestätigt wurde.
Quelle: Zofinger Tagblatt, 6. Juli 2022
«Hans-Ruedi Hottiger war ein Glücksfall»: WRZ-Präsident Peter Gehler (l.) ehrte am Tag der regionalen Wirtschaft den ehemaligen Stadtammann von Zofingen.
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